Im äußersten Norden Georgiens, inmitten der wildromantischen Täler des Hohen Kaukasus nahe der Grenze zu Inguschetien, führt der russische Militärhighway den Reisenden zu einem der heiligsten Orte des Landes, der Kirche Tsminda Sameba (Dreifaltigkeitskirche). Auf dem Gipfel eines 2.170 m hohen Berges thronend, wacht das Gotteshaus über das kleine Dorf Gergeti, dessen windschiefe Steinhäuschen sich vor der überwältigenden Pracht der Landschaft zu verneigen scheinen
Die wohl im 14. Jahrhundert errichtete Kuppelkirche Tsminda Sameba ist nicht nur der höchstgelegene Kirchenbau Georgiens, sondern auch einer der zentralen, ikonischen Erinnerungsorte des Landes. In Zeiten des Krieges dienten die massiven, mit Schriftzeichen und rätselhaften Fabelwesen überzogenen Mauern aus rötlichem Vulkangestein als Zufluchtsort für die Bevölkerung. Während der persischen Eroberungszüge diente die abgelegene Kirche auch als sicherer Hort für Kirchenschätze aus allen Teilen des Landes, unter anderem für das legendäre Weinrebenkreuz der Landesheiligen Sankt Nino. Trotz seiner wachsenden touristischen Beliebtheit gelingt es, Tsminda Sameba seine ehrwürdige, archaische Aura auch in der Gegenwart zu bewahren. Noch 1988 scheiterte die Erschließung des Berges über eine Seilbahn am erbitterten Widerstand der Bevölkerung, die ihren heiligen Ort durch die Pläne der russischen Regierung entweiht sahen.
Nicht weniger legendenumrankt ragt hinter der Dreifaltigkeitskirche die titanische weiße Silhouette des erloschenen Vulkans Kazbek (5033 m) in den Himmel. Die griechische Mythologie sah in den Hängen des Berges am Ende der bekannten Welt den Fels, an den Prometheus gekettet war. Der antiken griechischen Mythos hallt in der lokalen georgischen Sage von Amirani nach, der Gott selbst herausforderte und dafür an den Stein des Berges gefesselt wurde.
Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts der deutsche Orientalist Heinrich Julius Klaproth (1783–1835) im Auftrag der Hofes in Sankt Petersburg die Gegend bereiste, stieß er nicht nur auf betrunkene russische Beamte, sondern auch auf weitere Legenden, die sich um den mystischen Gipfel ranken:
Tsminda Sameba und Kazbek, Russische Postkarte, ca. 1895 |
Am folgenden Morgen (26. Dezember), als der Quarantainenaufseher und der Chirurgus ihren Rausch ausgeschlafen hatten, kamen sie zu mir, um sich wegen ihrer gestrigen Unhöflichkeit zu entschuldigen, und baten uns in der Quarantaine zum Frühstück, welches wir natürlich ausschlugen. Ich benutzte die Morgenstunden, um die umliegende Gegend zu Pferde zu durchstreifen. Stephan-Tzminda gegenüber liegt, auf der linken Seite des Tereks, das Georgische Dorf Gergethi, am Fuße eines hohen und steilen Berges, auf dessen Gipfel eine alte, wohl erhaltene Kirche steht, die im Griechischen Geschmacke von Stein, der Sage nach von der Georgischen Königinn Thamar, erbaut ist. Sie heißt Tzminda Ssameba, oder zur heiligen Dreyeinigkeit. Sie hat eine gewölbte Kuppel, und in derselben soll das Kreuz der heiligen Nino aufbewahrt werden.
Hinter diesem Berge erhebt sich der hohe Schneegipfel Mainwari, der von den Osseten Zeristi zub, Christi Berggipfel, oder Urs-choch, d. i. der weiße Weg, genannt wird, bey den Russen aber, so wie das Dorf Stephan-Tzminda, Kasbek heißt. Auf der podrobnaja Karta ist dieser Berg gar nicht angegeben, dagegen fährt der südwestlich davon gelegene Schneegipfel Chochi, auf dem der Terek und andere Flüsse entspringen, den Namen Kasbek, welches ein desto unverzeihlichem Fehler ist, weil man gerade vom Terekthale sehr genau Karten und Marschrouten besitzt.
Der Mainwari ist ohne Zweifel, nach dem Elbrus am Ursprunge des Ekuban, der höchste Gipfel des Kaukasischen Schneegebirges, und kommt wahrscheinlich dem Montblanc an Größe gleich, wenn er ihn nicht noch übertrifft. Seine Gestalt ist Zuckerhutförmig, und er selbst bis beinahe zum Fuße mit ewigem Schnee und Eise bedeckt. So hoch als man an demselben kommen kann, das heißt, bis zu Anfange der Schneeregion, ist das Gestein rother Basaltporphyr und Thonporphyr, mit mehr oder weniger glasigem Feldspat, der an manchen Stellen die Hauptmasse ganz verdrängt, mit wenigem Glimmer. Obgleich die Hauptmasse dieses Porphyrs, in oryktognostischer Hinsicht, ein eigenes von dem Basalte verschiedenes Fossil zu seyn scheint, so ist sie doch mit ihm sehr nahe verwandt, und macht mit dem eigentlichen Basaltporphyr, in dessen Hauptmasse sie nicht selten ganz übergeht, eine Gebirgsformation aus. Da, wo die Hauptmasse aufgelöst ist, ist ihm eine, in kleinen und sehr kleinen Krystallen vorkommende röthlichbraune und bräunlichrothe, von der basaltischen speciell verschiedene, Hornblende ausschließend eigen. Diese Porphyrart kommt auch sehr häufig als Geschiebe im Terek vor.
Ueber den Fuß des Mainwari sieht man ausgegrabene Höhlen, die auf Georgisch Bethleemi genannt werden, und zu denen der Weg sehr beschwerlich ist. Sie sollen der Sage nach ehemals von frommen Einsiedlern bewohnt worden sein. Dort soll eine eiserne Kette herabhängen, an der man hinaufsteigt und zur Wiege Christi und zum Zelte Abrahams kommt, welches ohne Zeltstangen und Stricke errichtet ist.
Ueber den Fuß des Mainwari sieht man ausgegrabene Höhlen, die auf Georgisch Bethleemi genannt werden, und zu denen der Weg sehr beschwerlich ist. Sie sollen der Sage nach ehemals von frommen Einsiedlern bewohnt worden sein. Dort soll eine eiserne Kette herabhängen, an der man hinaufsteigt und zur Wiege Christi und zum Zelte Abrahams kommt, welches ohne Zeltstangen und Stricke errichtet ist.
Nach andern fabelhaften Erzählungen sieht man dort marmorne und krystallene Gebäude, die auf dem Schnee selbst stehen sollen, welches aber vermutlich Eisschollen sind, die alle mögliche Figuren von Schlössern und Türmen bilden. Griechische Mönche, die auf der Spitze des Schneegipfels gewesen seyn wollten, konnten den Leichtgläubigen ungestraft allerlei Lügen von den dort befindlichen Wunderwerken aufbürden, zu denen auch die Fabel von einer goldenen Taube gehört, die von selbst in der Mitte eines Gebäudes schweben soll.
Als Reineggs in Georgien war, erbot sich ein alter Priester, der den Weg zu der Kirche auf dem Mainwari genau zu wissen vorgab, dahin zu gehen, und ward dazu sehr vom Könige Irak'li aufgemuntert, der ihn vorzüglich beauftragte, die der Sage nach dort befindlichen Schätze mitzubringen. Er ließ ihnen selbst genugsame Wegzehrung reichen, und nach einigen Wochen sah man den jungen frohlockenden Priester mit der Nachricht zurückkommen, daß er den Berg (vermuthlich seiner Jugendsünden wegen) nicht habe ersteigen können, und daher von dem Vater ermahnt worden sey, am Fuße des Berges in beständigem Gebete bis zu seiner Wiederkunft zu warten. Am siebenten Tage endlich sey der Vater mit der Versicherung herabgekommen, daß er alles wirklich und auch den überaus reichen Schatz gesehen habe; allein die Zeit, ihn zu heben, sey noch nicht gekommen, aber doch nahe. Inzwischen solle er nur seiner Wege gehen, und dem Könige die nöthigen Beweise der Wahrheit übergeben, auch weiter nicht an ihn denken, weil er sich wieder auf den Berg begeben und in der überirdischen Gesellschaft der Engel sein Leben beschließen wolle, wohin er dann auch wirklich zurückgekehret sey. – Die mitgebrachten Zeugnisse bestanden in einem Stückchen alter vermoderter Leinwand, die von dem Zelte abgeschnitten seyn sollte, einem Stückchen ebenfalls vermoderten Holze von der Wiege, und einigen Para aus der Zeit des ersten Ssultan Sselim. So handgreiflich auch diese Beweise des Betrugs und der Lügen waren, so wurden sie dennoch mit vieler Achtung aufgenommen, und besonders ein Stück weißer Marmor mit breiten rothen Flecken, welches um so mehr für ein Heiligthum angesehen wurde, weil es vom Altare abgebrochen seyn sollte. Das Auffallendste bey dieser ganzen Geschichte war, daß der alte Priester wirklich nie wieder zum Vorschein kam. Wahrscheinlich fand er seinen Tod in einer Schneekluft, und der Sohn wollte dies nicht bekannt machen, um der Fabel mehr Ansehen und wenigstens für ein Menschenalter neue Glaubwürdigkeit zu geben."
Quelle:
Klaproth, Julius von: Reise in den Kaukasus und nach Georgien unternommen in den Jahren 1807 und 1808, auf Veranstaltung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, enthaltend eine vollständige Beschreibung der Kaukasischen Länder und ihrer Bewohner. Erster Band. Halle und Berlin 1812, S. 681–684.
Sekundärliteratur:
Walravens, Hartmut: Julius Klaproth: (1783–1835). Leben und Werk. Wiesbaden 1999.
Reisetipps:
Anreise von Tbilisi mit der Marshrutka vom Busbahnhof Didube aus. Die Fahrt dauert ca. 3 Stunden und kostet ca. 20 GEL hin und zurück.
Ankunftsort ist Stepantsminda. Hier warten zahlreiche Taxifahrer, die Fahrten zur Tsminda Sameba anbieten (ca. 30 GEL). Zu Fuß anspruchsvolle Wanderung, ca. 3-4 Stunden. Übernachtungsmöglichkeiten finden sich vor allem in Stepantsminda.
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