28.02.2013

Traveling to Naxos in 1768


The influence of travel reports dating from the 18th century on the way how we perceive the ancient mediterranean world has been widely discussed. One of the most influential reports is the small book "Bemerkungen auf einer Reise nach der Levante" (1774) by German baron Johann Hermann von Riedesel (1740–1784). Riedesel, who was a disciple of Johann Joachim Winckelmann, the single most important figure in the re-discovery of the Roman and Greek antique, started traveling to the Mediterranean in 1768 and gives us a vivid, witty, slighty ironic glimpse into the countries and cultures of Southern Europe before the start of modern tourism. This is his account of a visit to Naxos in 1768, which at that time was governed by Venetian, Greek and French noblemen under the supreme reign of the Ottoman Empire:


"Ich kam nun auf die Insel Naxia, welche ehmals dem Bacchus geheiligt war. Auf einem kleinen Felsen, der Insel gegenüber, sieht man noch die Hauptthüre von dem Tempel des Bacchus; alles Übrige aber ist zerstört. Diese Thüre ist nach dorischer Ordnung gebaute, und besteht aus drye Stücken weißen Marmor, zwei Pfeilern und einem Gesimse über der Thür. Jeder Pfeiler hat vier und eine halbe neapolitanische Palme in der Breite. Der Eingang in den Tempel war sehr enge, und kaum für eine Person zureichend, ob gleich die Hauptthüre zehn Palmen breit war. Dieß machen zwey große Stücken Marmor, und die Pfeiler an beyden Seiten, welche nur einen Rum von zwei Palmen breit zum Eingange lassen. Ich habe dieß in keinem alten Tempel bemerkt, und die Ursache davon ist mir unbegreiflich. Der Tempel kann nicht sehr groß gewesen sein, denn der Felsen, auf dem er gebaute war, ist sehr klein. Eine große Treppe führte von der Nordseite des Tempels nach dem Meere, und der Felsen war durch einen Damm mit der Insel Naxia verbunden. Man findet noch Spuren dieses Dammes, und auch von verschiedenen Bädern, und von einem Wasserbehälter.


Die Stadt Naxia ist sehr reich an schönen Ueberbleibseln des Altertums, aber dabey sehr häslich. Man sieht daselbst noch einige dorische Capitäler, und den alten Platz von Steinen, die durch mosaische Arbeit zusammengesetzt waren; auch noch einen alten Canal, der mit der Erde gleich ist. […]
Es ist sehr zu bedauern, daß diese Insel, eine der schönsten und größten des Archipels, so sehr unbewohnt ist. Sie bringt sehr guten Wein, auch Seide hervor, und hat viele Weide. Die Zahl ihrer Einwohner beträgt aber nicht über fünf tausend. Es haben sich hier verschiedene fremde Familien festgesetzt. Die Modene, die Vigoureuse, kommen von den Maltheserrittern her, die auf ihren Fahrten hier landeten und sich hier festsetzten. die Condilli behaupten, daß sie von altem griechischen Adel herstammen; die Somma Ripa von Venetianischen Edlen. Sie sind aber nur Bastarde. Der Graf von Rumpf, der von einer sehr guten deutschen Familie herstammt, hat eine Modene geheyrathet, und also noch eine adliche Familie mehr auf der Insel gestiftet. Alles diese angeblichen Edlen sind so stolz auf ihren Adel, daß sie lieber sterben, als handeln oder sonst irgend Etwas thun würden.


Die weibliche Kleidung ist höchst lächerlich (dies geht hauptsächlich auf das griechische Frauenzimmer; denn viele Weiber der Römisch Catholischen richten sich nach der Mode der Venetianerinnen. Der Übers.). Das Frauenzimmer sieht hier wie eine geputzte Gans aus. Sie sind aber außerdem recht artig; nicht so grausam, nicht so fein, nicht so eigennützig, wie die Schönen von Tine [= Tinos]. Dieser ihre Ehrlichkeit ist durch den allgemeinen Handel verdorben, der auf der Insel herrscht, und auch dadurch, daß sie in den großen Städten der Levante gelebt haben.
Man findet auf diesem elenden kleinen Flecken Land einen Erzbischof mit seinen Canonicis, Capucinern, Barfüssern, ein Nonnenkloster und – das Beste von Aldem – Jesuiten (Alle diese Brüderschaften befinden sich hier unter französischem Schutz). Wahrhaftig genug, um eine so kleine Insel bettelarm zu machen; besonders wenn man nun noch die vielen griechischen Klöster hinzu denkt!
Die Einwohner haben Verstand. Die Schäfer, besonders die auf dem Berge des Jupiters, sind fürtreffliche Schleuderer; sie können auf fünfhundert Schritte weit mit einer erstaunenden Genauigkeit Steine werfen, und verfehlen niemals ihren Mann. Ihre Schleudern sind von Leder, und an zwey Peitschen angeheftet, womit sie den Stein fortschlagen. Die kleinsten Kinder tragen schon dergleichen Schleudern an ihren Gürteln. Auf dem Felde sah ich ein sehr großes Stück von weissem Marmor, das vermutlich zu einer colossalischen Statue gehört hatte. Es hatte dreyßig Palmen in der Länge und fünf in der Breite. Die Männer tragen große Strohhüte, die an dem Nacken befestigt sind; man sieht eine solche Figur auch auf dem schönen Basrelief des Cardinals Alexander Albani in seinem Landhause, welches den Amphion und Zethus vorstellt. Es scheint, daß dieser Gebrauch sich von der Zeit an, noch immer erhalten hat."

Baron von Riedesel: Bemerkungen auf einer Reise nach der Levante. Aus dem Französischen übersetzt und mit einigen erläuternden Anmerkungen begleitet, von Christ. Wilh. Dohm. Leipzig 1774, S. 62–67.






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